Islam: Sunna und Schia

Islam: Sunna und Schia
Islam: Sunna und Schia
 
Die unmittelbaren Nachfolger des Propheten Mohammed, die Kalifen (arabisch »Chalifa«, Nachfolger), regierten im Sinne eines theokratischen Herrschers. Jede Wahl eines neuen Kalifen war mit Problemen verbunden, die sich aus der Lage der einzelnen Stämme und Gruppierungen ergaben. Der erste Kalif, Abu Bakr (632-34), genannt »As Siddik« (»der Rechtschaffene«), war der einzige unter den vier ersten, der eines natürlichen Todes starb. Der zweite, Omar I. (634-44), wurde von einem Sklaven, dessen Beschwerde er abgewiesen hatte, erdolcht. Othman (644-56) wurde von Truppen aus drei Provinzen in seinem Hause in Medina belagert und getötet, was bei den arabischen Muslimen zur ersten Spaltung führte: An der Spitze derjenigen, die die Bestrafung der Mörder des Kalifen nachhaltig bis zum Aufstand gegen den vierten Kalifen Ali (656-61) forderten, stand der Statthalter von Syrien mit Sitz in Damaskus, Moawija, der Begründer der Omaijadendynastie.
 
Die Auseinandersetzungen zwischen dem Gouverneur Syriens und seinem Kalifen führten zu einer offenen Feldschlacht. Moawija setzte sich über einen islamischen Schiedsspruch, der Frieden stiften sollte, hinweg. Ali wurde schließlich von einem Anhänger der ältesten islamischen Sekte, den Charidschiten (arabisch »charidschi«, zum Kampf Ausziehende), die dem vierten Kalifen den Gehorsam verweigerten, 661 ermordet. Schon zu seinen Lebzeiten hatte sich um Ali eine politische Gruppierung gebildet (arabisch »Schia«). Diese Partei wurde nach seinem Tode, den sie Moawija und den orthodoxen Muslimen (Sunniten genannt, weil sie die »Sunna«, das heißt die Tradition des Propheten, befolgten) nicht verziehen hatte, immer bedeutender.
 
Die Spaltung des Islam in Anhänger des dritten Kalifen, Othman, und des zum selben Omaijadengeschlecht zählenden Gouverneurs von Damaskus, Moawija, und in Anhänger des vierten Kalifen, Ali, hatte anfangs einen rein politischen Charakter. Sie hatte jedoch die Gründung der zahlreichen islamischen Sekten zur Folge, die sich nach und nach um bedeutende geistliche Führer bildeten. Die Sunniten - bis heute die Mehrheit der islamischen Welt - vertreten sozusagen die Orthodoxie im Islam. Sie stellten die arabischen Kalifen nach Ali, das heißt in den Dynastien der Omaijaden und Abbasiden, und später auch die osmanischen Sultane, welche die Nachfolge der Kalifen von Bagdad antraten.
 
Die Schiiten, von den Omaijaden und Abbasiden blutig verfolgt, weil sie die sunnitischen Kalifen nach Ali nicht anerkannten, stellten eine eigene Reihe von Imamen (frühere Bezeichnung auch des Kalifen als Vorsteher seiner Gemeinde) gegen die sunnitischen Kalifen: Bei dem orthodoxen Zweig der Schia sind es zwölf Imame (»Zwölferschia«) und sieben bei dem weniger streng orthodoxen (»Siebenerschia«). Zu den ersteren zählen heute die iranischen (mit den Safawiden im 16. Jahrhundert zur Schia bekehrt), die türkischen (etwa 20 % der Muslime in der Türkei) und die libanesischen Schiiten.
 
Dadurch, dass die Schiiten von der Macht ausgeschlossen und zahlreichen Verfolgungen ausgesetzt waren, entwickelten sie eine esoterische Ideologie, die aus dem Imam eine zwischen dem Menschen und Allah vermittelnde, charismatische Gestalt machte, für die sie bereit sind, bis zum Martyrium Gehorsam zu leisten. Der 12. beziehungsweise der 7. Imam wurde entrückt, soll aber am Ende der Zeiten wiederkommen, um den Anhängern zum Siege über die Feinde zu verhelfen. Zu den Siebener schiiten gehören die Ismaeliten (nach dem gleichnamigen Imam benannt) mit dem Aga Khan als Oberhaupt, von denen sich mit dem Fatimidenkalifen Al Hakim (996-1021) in Kairo die Drusen abgezweigt hatten, welche jede Tätigkeit zur Gewinnung von Proselyten aufgaben.

Universal-Lexikon. 2012.

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